D. Hattrup liest - C.F. von Weizsäcker: Wahrnehmung der Neuzeit: Begriffe 1

4. Begriffe
Es war die Absicht dieses Buchs, von Wahrnehmungen auszugehen, nicht von Theorien. Am Schluß mag nun doch eine zusammenraffende theoretische Anstrengung angebracht sein. Welche Begriffe sind uns als brauchbar übriggeblieben? Im Rahmen welcher Urteile gewinnen diese Begriffe einen auslegbaren Sinn?
Auch diese theoretische Arbeit soll jedoch induktiv bleiben, nicht deduktiv werden. Zu diesem Zweck halte ich mich in lockerer Weise an die Zeitfolge, in der sich diese Wahrnehmungen mir selbst angeboten oder aufgedrängt haben.
Bewußtsein als unbewußter Akt
Der früheste Text dieses Buchs ist eine erkenntnistheoretische Aufzeichnung von 1932, die ich in dem Aufsatz ‚Bohr und Heisenberg‘ auszugsweise abgedruckt habe. Es geht dort noch nicht um Geschichte oder Neuzeit. Es geht um das Wesen des Bewußtseins. Im Rahmen meiner heutigen Fragestellung geht es damit zugleich um eine der Voraussetzungen, die wir verstehen müssen, wenn wir das Verhältnis von Wahrnehmung und Theorie verstehen wollen.
‚Bewußtsein ist ein unbewußter Akt.‘ Dieser Satz stieg mir damals, selbst ein unbewußter Bewußtseinsakt, in fertiger Formulierung und von großer Emotion begleitet aus einer unbekannten Tiefe auf. Ich war hilflos gegen ihn. Er war wahr, aber ich verstand ihn nicht - so erlebte ich ihn. Er war meine Wahrheit, ich war mit ihm identifiziert; und ebenso erwies ich mich als mir selbst unbekannt.
Was zeigt sich in der Reflexion auf ihn, fünfzig Jahre später? Der Satz mochte wörtlich von William James stammen. Aber ich kannte James nicht. Näher meinem Verständnis des Satzes war die damals unter jüngeren Intellektuellen allgegenwärtige Psychologie Freuds. Der Satz war zugleich implizit polemisch. Er wandte sich gegen zwei nicht identische, aber verwandte Auffassungen. Einerseits gegen die szientistische Selbstinterpretation der Wissenschaft, die sich einbildet, sie wisse, was sie weiß. Andererseits gegen die von Descartes ausgehende neuzeitliche Bewußtseinsphilosophie, die meint, das Bewußtsein kenne sich selbst.

Пікірлер: 2

  • @weiterimtext8134
    @weiterimtext813425 күн бұрын

    Unglaublicher Mensch, Forscher, Quantenmechaniker, Musiker, Gläubiger, rechtschaffender. Wer von den Naturwissenschaftlern hat noch so eine Redlichkeit gezeigt? C. F. von Weizäcker?

  • @dieterhattrup

    @dieterhattrup

    25 күн бұрын

    Wunderbar Ihr Loblied auf Weizsäcker. Er ist mein Lehrer, jedenfalls hat er meine Dissertation mit einem Vorwort geehrt. Ich habe endlos viel bei ihm gelernt. Aber die Wahrheit tritt nicht auf die Stelle, deshalb habe ich die Freiheit in der Natur aus der Quantentheorie abgeleitet, während er es mit dem Holismus versucht hat. Möge er leben! ‚Seligkeit ist nicht jenseits des Todes; dort ist Arbeit. Seligkeit ist auf dem Grunde der Wirklichkeit, die auch den Tod geschaffen hat.‘