Joseph Vogl: Das seltsame Überleben der Theodizee in der Ökonomie

Ähnlich wie die Theodizee einst das vernünftige und vorausschauende Wirken Gottes in einer Welt voller Desaster zu rechtfertigen versuchte, behaupten liberale Markttheorien, dass die gegenwärtige Finanzökonomie - trotz aller Krisen und Crashes - die beste aller ökonomischen Welten sei. Der Erfolg solcher Lehren liegt nicht nur darin, dass sie komplexe soziale Prozesse auf einfache Operationen wie Tauschakte reduzieren. In ihnen verkörpert sich auch eine elementare Hoffnungsfigur: dass Märkte und insbesondere Finanzmärkte privilegierte Schauplätze sozialer Ordnung seien; dass sich in ihnen eine Art praktischer Vernunft verwirkliche; dass die alte göttliche Vorsehung in den Regelmäßigkeiten des Wirtschaftssystems wiederkehre. Ökonomische Theorie erscheint dabei weniger realistisch, als zutiefst moralisch, metaphysisch und theologisch zu sein. Und es stellt sich die Frage, ob die letzten Finanzkrisen nicht einen ähnlichen Effekt wie das Erdbeben von Lissabon 1755 haben, das alle Versuche einer Theodizee erschütterte und nur in satirischer Form überleben ließ. Was heute auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Geltung und die Haltbarkeit einer liberalen bzw. kapitalistischen ‚Oikodizee’, einer Theodizee der ökonomischen Welt.
Gastprofessor an der Universität Princeton; ein wichtiger Gegenstand seiner Forschungen ist die Geschichte des Wissens und des politischen Denkens; Publikationen u.a. „Ort der Gewalt. Kafkas literarische Ethik“ (2. Aufl. 2010), „Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen“ (4. Aufl. 2004), „Über das Zaudern“ (2. Aufl. 2007), „Das Gespenst des Kapitals“ (5. Aufl. 2015) und „Der Souveränitätseffekt“ (2015)
Aufzeichnung vom 7.7.2016 in der Humboldt-Universität.
Weitere Informationen unter: www.mosse-lectures.de

Пікірлер: 13

  • @kulturindustrie5361
    @kulturindustrie53614 жыл бұрын

    Erst jetzt mit vier Jahren Verspätung entdeckt - herzlichen Dank für diesen ausführlichen Vortrag - über die die Folgen der Finanzkrise

  • @susannemeyer7023
    @susannemeyer70233 жыл бұрын

    Phantastischer Vortrag! Der Hinweis auf im Hintergrund stehende, Politik leitende Interessen ist leider überaus notwendig. "Cui bono?" sollte der Text zu einem allstimmigen Chor lauten. Vor dem Bundestag vorzutragen. Nicht auf dem Grünen Hügel.

  • @detlefschmidt6789
    @detlefschmidt67896 жыл бұрын

    Dieser Vogl hat eine wundervolle Karriere gemacht.

  • @istvanberta1908
    @istvanberta19084 жыл бұрын

    Letzten Endes wer wollte das bestreiten

  • @laszlonemet4425
    @laszlonemet44252 жыл бұрын

    Die Vorsilbe 'pro' heisst nicht 'vor/-her", sd.für..(dafűrhalten,meinung propagieren...behaupten) 18:-

  • @susannemeyer7023
    @susannemeyer70233 жыл бұрын

    Was meint er mit Gleichgewichtstheorien?

  • @counselorsteinchen6887

    @counselorsteinchen6887

    2 жыл бұрын

    der Typ meint so einiges mit Theorien - vielleicht die Melonendiät? Alles essen außer Melone!

  • @kaigrafable
    @kaigrafable Жыл бұрын

    Ich frag mich, wer sich sowas anhört. -- Ich hab 2007 damit angefangen, mir die Financial Times Deutschland (FTD) zu kaufen, weil ich wissen und verstehen wollte, was los war, und dachte: Les ich dort mal nach. Ökonomische und finanzpolitische Sachkompetenz werden die ja haben - bewerten kann ich es ja dann immer noch selbst. Diese Zeitung vermisse ich nach wie vor (die wurde 2010/11 oder so eingestellt), und die Publikation ökonomischen Sachverstands in der deutschen Medienlandschaft is painfully missed. -- Mr. Vogl lässt sich am Anfang seines Vortrages darüber aus (ich hab mir das jetzt nicht komplett angekuckt), dass die Basler Akkords zum Ziel hatten "den Finanzkapitalismus von vor 2007 zu restaurieren" - ein Aspekt von Basel war, dass den Banken vorgeschrieben wurde, einen Mindestanteil ihrer Werte in Staatspapieren zu halten. In der Folge, d.h. Monate und Jahre später, gab es negative Zinsen auf Staatsanleihen, v.a. von sogenannten starken Ländern: das ist ein Folge davon, dass die Banken diese Staatsanleihen kaufen MUSSTEN. Im Basler Ausschuss schlug die Stunde Schäubles - aufgrund der öffentlichen Empörung über die Bankenkrise und der sog. Zockerei, die dazu geführt hatte, haben andere Akteure, wie die Staaten und ihre Finanzminister, die Gunst der Stunde und die Schwäche der Banken dazu genutzt, ihre Vorstellungen und ihre Vorteile, die eine billige Kreditaufnahme für die Staaten betreffen, durchzusetzen. Und es gab öffentlichen Beifall dafür bzw. wurde das abgenickt, weil das als eine Maßnahme zur Stabilisierung der Finanzmärkte verkauft werden konnte.

  • @laszlonemet4425
    @laszlonemet44252 жыл бұрын

    Noch Fragen? -... - der mit die Blumnkohlohrn.......... !--

  • @laszlonemet4425
    @laszlonemet44252 жыл бұрын

    "dermarktmachtanderealsseineeigenen Gesetze obsolet'

  • @detlefschmidt6789
    @detlefschmidt67896 жыл бұрын

    Es geht um Zins und Zinseszins. Vernebelungsdikussion ist das hier!

  • @laszlonemet4425

    @laszlonemet4425

    2 жыл бұрын

    15:~~Prognosen von Nobelpreistraeger/n:"die profezeienalles, nur nicht das was passieren wird' [Pro heisst ja auch "fűr", nicht "vor".]